Burra Bazar, Kalkutta. Fahrzeugkunst in Ostindien.
Burrabazar ist ein weitläufiges Marktgebiet in Kalkutta. Es wird durch den Großhandel mit Waren aller Handelsklassen bestimmt.
Eine wichtige Rolle nehmen dabei Lastkraftwagen ein. Durch sie ist der An- und Abtransport der riesigen Warenmengen sichergestellt.
In endlosen Reihen stehen sie zu Tausenden auf den Straßen der Gegend.
Sie alle sind umfangreich gestaltet und bemalt.
An kaum einem anderen Ort in Indien ergibt sich die Möglichkeit, südasiatische Fahrzeugkunst in solcher Fülle zu erleben.
Manche LKW legen tausende Kilometer zurück, um Waren hierher oder von hier in ihre Bestimmungsgebiete zu bringen.
Bis nach Nepal in den Himalaya oder in die Hafenstädte Karatschi in Pakistan und Chittagong in Bangladesch reichen ihre Wege.
Fahrzeug-Gestalter gehören in Indien einem eigenen, traditionellen Berufsstand an.
Es gibt namhafte Lackierereien mit langer Geschichte, die im ganzen Land und darüber hinaus in Bangladesch, Sri Lanka, Nepal, Pakistan und bis nach Afghanistan bekannt sind.
Die Innengestaltung der Fahrerkabinen nimmt einen ähnlichen Stellenwert ein wie die äußere Bemalung.
Einige Fahrzeuggestalter sind bekannte Persönlichkeiten.
Die Jüngeren unter Ihnen gehörten zu den Social Media Stars und ihre Videos erreichen oft Millionen Klicks.
Natürlich sind nur wenige Fahrzeugmaler derart berühmt.
Ihre überwiegende Mehrzahl nutzt auch hier in Kalkutta die Ladezeiten, um an den Fahrzeugen zu arbeiten.
Auch die Rückseiten der Fahrzeuge sind in der Regel umfangreich gestaltet und mit Schriftzügen versehen.
Zu den geläufigsten Schriftformeln gehören "Blow Horn" (bitte Hupen) und "Use dipper at night" (Nachts Scheinwerfer einschalten).
Die Aufforderung "bitte Hupen" steht im Widerspruch zu den Verkehrsregeln. Dies ist auch in Indien nur in Notfällen gestattet.
Die Behörden sind bemüht, die Regeln im Bewusstsein der Verkehrsteilnehmer zu verankern.
So sind in Kalkutta an größeren Kreuzungen Bildschirme installiert, auf denen Verkehrsregeln eingeblendet werden.
Dort wird dafür geworben, die Nutzung der Hupe zu vermeiden.
Dennoch hupen die meisten Fahrzeuge fortdauernd. Oft wird dieser Widerspruch damit kommentiert, dies wäre wichtiger Teil der Kommunikation im Straßenverkehr.
Von der Interpretation "Hupen zur Kommunikation" bin ich nicht überzeugt.
Während meiner Aufenthalte in Kalkutta verfüge ich über einen PKW mit festem Fahrer.
Es gibt Tage, an denen der Fahrer ohne Unterlass das Horn betätigt.
An anderen Tagen hingegen hupt er nie. Straßen, Uhrzeiten und Verkehrssituation sind jedoch gleich.
Die Aufforderung "Nachts Scheinwerfer aktivieren" erscheint sinnvoller.
Dieser Hinweis ist auch auf großen Displays an vielen Kreuzungen in Kalkutta zu lesen.
Denn bei Dunkelheit sind oft unbeleuchtete Fahrzeuge unterwegs.
Immer wieder stelle ich fest, dass auch mein Fahrer abends kein Licht einschaltet.
Als ich den Sachverhalt ihm gegenüber einmal hinterfragte, bedeutete er mir, dass die Stadt nachts ohnehin umfangreich illuminiert wäre.
Diesen Vorteil nutze er zur Schonung der Glühlampen.
Bei hohen Tagestemperaturen ist es in den Kabinen zu heiß. Viele der Fahrer richten sich tagsüber mit dem Smartphone und Lebensmitteln unter ihren Fahrzeugen ein, während diese beladen werden. Fahren dürfen sie in Kalkutta nur nachts.
Die großen Mengen an LKW sind häufig Thema in öffentlichen Diskussionen.
Vor allem ihre Beladung sorgt für Aufmerksamkeit. Das zulässige Gesamtgewicht für große Trucks liegt derzeit bei circa 43 Tonnen.
Speditionsverbände sind der Ansicht, die Gesetzeslage erlaube es, dass Lastwagen 25 Prozent mehr Gewicht transportieren können und geben Empfehlungen mit diesem Maßstab an ihr Gewerbe.
Dies würde lauft Bestimmungen als „sichere Achslast“ bezeichnet.
Doch nur wenige Menschen außerhalb der Branche teilen die Auffassung.
Immer wieder gibt es Presseberichte, nach denen Ordnungshüter LKW aufbringen, die das zulässige Gesamtgewicht sogar um das Doppelte überschreiten.
"Incredible India" (Unglaubliches Indien) lauten die Schlagzeilen zu solchen Informationen.
Schon vor Jahrzehnten wurde der Slogan "Unglaubliches Indien" zum Namen einer weltweiten Tourismuskampagne für das Land.
Er wirbt für historische Orte, Kulturelles und Natur.
In Indien selbst wurde er zum geflügelten Wort mit vieldeutigem Charakter.
Auch auf diesem Reisebus in Badabazar (Kalkutta) ist er zu lesen. Das Fahrzeug selbst eröffnet die Möglichkeit, ihn zu interpretieren.
Es gelangen auch spektakuläre Überladung in die Öffentlichkeit.
So ist von Trucks zu lesen, die ihr zulässiges Gesamtgewicht um das drei- oder sogar vierfache überschritten.
Amtlich dokumentiert sind Fälle von 160 Tonnen und mehr. Meist sind solche Meldungen mit Unfällen verknüpft, welche die überladenen LKW verursachten.
Doch nicht nur Überladung ist dafür verantwortlich, dass LKW in Unfälle verwickelt sind.
Passend zur Bemalung sind auch die Frontscheiben gestaltet.
Für Gesprächsbedarf von Seiten der Behörden sorgte die Tradition, Frontscheiben mit Vorhängen zu versehen.
Die damit verbundenen Sichtbehinderungen war die Administration nicht länger bereit, zu tolerieren.
Nach langem Für und Wider wurden sie abgeschafft.
Die Fahrer sind jedoch dazu übergegangen, große Aufkleber mit Abbildungen von Vorhängen auf den Frontscheiben anzubringen.
Auf Kritik wegen der weiterhin eingeschränkten Sicht wurde der Sprecher eines Fahrerverbandes in der Presse zitiert.
Er verwies darauf, dass die Aufkleber ein guter Kompromiss wären und warb dafür, die alte Tradition in dieser Form weiter fortzuführen.
Die Sticker hätten den Vorteil, bei Fahrtwind nicht zu flattern, dadurch würden die Sichtverhältnisse durch die Windschutzscheiben entscheidend verbessert.
Größere Unfälle haben sehr weitreichende Konsequenzen für die Fahrer.
Verletzen sie sich dabei, können sie schnell in Not geraten.
Sie sind dann mit Behandlungskosten konfrontiert und außer Stande, ihre Familien weiter zu versorgen.
Lebensverhältnisse geraten ins Wanken, Haus oder Wohnung stehen auf dem Spiel. Können Verwandte nicht helfen, sehen sich die Fahrer in ein soziales Drama verwickelt, dessen Verlauf sie nicht aufhalten können.
Tragen sie selbst Schuld am Unfall, sind Schadenersatzforderungen für Ware, Fahrzeug oder von Unfallgegnern die Regel, ihr Versicherungsschutz ist oft mangelhaft.
Zum nächsten Teil dieses Foto-Blogs über Burra Bazar in Kalkutta gelangen Sie über folgenden Link:
https://www.yesterday-industries.com/kalkutta-burra-bazar-stadtbilder-am-ganges